asut-Bulletin
Future of Communication
Ausgabe
01/2022
...der Fertigungsindustrie: Der digitale Zwilling

Ill

Illustration: Industrie 2025

 

Von Roland Eschmann

Quelle: Manuel Fischer B.Sc., Prof, Markus C. Krack | Fachhochschule Nordwestschweiz, Mitglied der Arbeitsgruppe «Digitaler Zwilling» von Industrie 2025

Mit der rasanten Entwicklung neuer Technologien wie Cloud Computing, Internet of Things, Big-Data-Analytik und künstliche Intelligenz ist das Zeitalter der intelligenten Fertigung angebrochen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der «Digitale Zwilling» auf. Mit den neuen Technologien kombiniert ermöglicht er es,  komplexe Aufgaben besser zu bewältigen.

Industrie 2025, die nationale Initiative zur Förderung der Digitalisierung auf dem Werkplatz Schweiz, betreibt eine Arbeitsgruppe zum «Digitalen Zwilling». Diese bietet produzierenden Unternehmen Workshops an, in denen die Umsetzung eines Anwendungsfalles mit einem Digitalen Zwilling geprüft wird. Ziel der Arbeitsgruppe ist es, zukunftsfähige Konzepte und Use Cases auszuarbeiten, die aufzeigen, wie die horizontale und vertikale Vernetzung erfolgreich umgesetzt werden kann.

Was ist ein Digitaler Zwilling?

Ein Digitaler Zwilling (engl. «digital twin»), ist ein digitales oder virtuelles Abbild von Anlagen, Prozessen, Produkten oder Dienstleistungen unserer physischen Welt und verwendet reale Daten. Physischer Gegenstand und virtuelle Repräsentanz sind miteinander verbunden und synchronisiert und können sich gegenseitig in Echtzeit beeinflussen.

Was ist kein Digitaler Zwilling?

Oftmals werden digitale «Mock-Ups» fälschlicherweise als Digitale Zwilling bezeichnet. Ein Digital Mock-Up ist jedoch nur eine rechnergestützte Methode, bei der ein digitales Modell des realen Produkts oder Gegenstands wiedergegeben wird und gewisse Eigenschaften simuliert werden. Das Kriterium der Kopplung des realen und digitalen Gegenstands ist aber nicht gegeben; es stellt ein Muss-Kriterium für den Digitalen Zwilling dar.

Ein 3D-CAD Modell als Digitalen Zwilling zu bezeichnen ist nicht korrekt.

Auch die Behauptung, dass der Digitale Zwilling längst Stand der Technik sei und in den meisten Unternehmen bereits eingesetzt werde, ist verwegen.

Arten des Digitalen Zwillings

Momentan werden drei (plus eine übergeordnete) Arten von Digitalen Zwillingen unterschieden:

  • Digitaler Zwilling in der Entwicklung (Produktzwilling)
  • Digitaler Zwilling in der Produktion (Produktionszwilling)
  • Digitaler Zwilling in der Dienstleistung (Servicezwilling)

Übergeordnet über alle drei Zwillingsarten ist der:

  • Digitale Zwilling über mehrere Phasen

Geschichte des Digitalen Zwillings

Das Konzept des Digitalen Zwillings ist erstmals 2010 in einer Technologie-Roadmap der NASA erwähnt worden. Es geht zurück auf das Apollo-Programm, bei dem mindestens zwei identische Raumfahrzeuge gebaut wurden, um die Bedingungen des Raumfahrzeugs während der Mission spiegeln zu können.

Aufbau eines Digitalen Zwillings

Traditionell wird der Digitale Zwilling in drei Dimensionen beschrieben. Vorgestellt wurde er erstmals von Grieves im Rahmen einer Vorlesung zum Thema Product Lifecycle Management. Der dreidimensionale Digitale Zwilling besteht aus dem physischen Gegenstand (physical entity), dessen virtueller Repräsentanz (physical space) und der Verbindung der beiden mittels Daten und Informationen.

Mit dem fünfdimensionalen Zwilling wurde das klassische Modell des 3-D Zwillings von Grieves um die Dimensionen Daten und Services erweitert. Ein Digitaler Zwilling besteht somit gemäss einer Publikation von Tao aus:

  •  Physischer Gegenstand (PE)
  •  Virtueller Raum (VE)
  •  Service- und Berechnungsraum (Ss)
  •  Digitaler Zwillings-Datenraum (DD)
  •  Verbindung oder Kommunikation (CN)


Fünfdimensionaler Digitale Zwilling (in Anlehnung an Tao, Zhang, et al., 2018)


Formalisierter Aufbau eines Digitalen Zwillings

Der Digitale Zwilling besteht aus vier Einheiten. In der ersten Einheit «Data Collection and Device Control» werden Daten gesammelt und aufbereitet. Über diese Einheit werden auch die physischen Objekte mit dem Zwilling gekoppelt und synchronisiert. In der «Core Entity» werden die verschiedenen Prozesse zur Datenverarbeitung (Simulation) bereitgestellt. Die «User Entity» stellt die Verbindung zu anderen Systemen und anderen Zwillingen dar. Die vierte Einheit mit der Bezeichnung «Cross-System Entity» regelt vereinfacht gesagt den Datenverkehr zwischen den Einheiten.

Nutzen und Chancen beim Einsatz

Digitale Zwillinge können während allen Phasen des Produktlebenszyklus von Nutzen sein. Der generelle Nutzen des Digitalen Zwillings liegt in der Bereitstellung von Entscheiden oder Entscheidungsgrundlagen in Echtzeit.

Der Nutzen eines Digitalen Zwillings ist somit weitreichend. Er ermöglicht es zum Beispiel:

  •     In der Entwicklung Wechselwirkungen zwischen Software und Konstruktionen zu überprüfen.
  •     In der Produktion Planung und Steuerung von Aufträgen zu verbessern und somit Durchlauzeiten zu verkürzen
  •     Materialflüsse und Lagerverwaltungen zu optimieren.
  •     Prozesse zu stabilisieren (konstante oder bessere Qualität)
  •     Den vorbeugenden Unterhalt (predictive maintenance) zu garantieren sowie Schadensfälle bei Maschinen und Anlagen zu vermeiden.

Die Auflistung ist nicht abschliessend, da der Nutzen und die Einsatzbereiche des Digitalen Zwillings sehr vielschichtig sind.

 

 

«Industrie 2025»-Workshop zum Digitalen Zwilling für produzierende Unternehmen

Ausgangslage:
Ein Unternehmen identifiziert einen Industrie-4.0-Anwendungsfall mit einem Digitalen Zwilling im Produktionsprozess und/oder bei den Anlagen; ist jedoch bezüglich Aufwands und Umsetzung unsicher.

Aufgabenstellung:
Gemeinsam mit den Expertinnen und Experten von Industrie 2025 evaluiert das Unternehmen den Anwendungsfall hinsichtlich der technologischen Lösungsmöglichkeiten und prüft den Fit zur strategischen Unternehmensausrichtung sowie dem voraussichtlichen Nutzen.

Umsetzungsroadmap:
a) Identifizierung der notwendigen Ressourcen und Skills,
b) Festlegen eines realistischen Zeithorizonts und
c) Empfehlungen zur Implementierungsstrategie

Ziel:
Das Unternehmen erhält eine erste Sicherheit, dass der individuelle Anwendungsfall mit einem Digitalen Zwilling im Produktionsprozess umsetzbar ist und erfährt, welche initialen Schritte für eine zielgerichtete Umsetzung erforderlich sind.

Zum Angebot: www.industrie2025.ch/angebote/workshops/digitaler-zwilling

Zu «Industrie 2025»:

Die nationale Initiative «Industrie 2025» verfolgt das Ziel, die digitale Transformation auf dem Werkplatz Schweiz voranzutreiben. Sie führt Anspruchsgruppen zusammen, strukturiert und vertieft vorhandenes Wissen und Erfahrungen und stellt sie frei zur Verfügung. Sie sorgt für die Einführung, Begleitung und Verankerung der Industrie 4.0-Konzepte in Wertschöpfungsnetzwerken und Produktionsunternehmen. Dies geschieht über vielfältige Aktivitäten, Arbeitsgruppen und konkrete Dienstleistungen.

Weitere Infos auf www.industrie2025.ch.

 

Roland Eschmann

Roland Eschmann leitet bei «Industrie 2025» das Projektmanagement und ist Co-Leiter der Arbeitsgruppe Digitaler Zwilling.

Artikel teilen: ...der Fertigungsindustrie: Der digitale Zwilling