asut-Bulletin
Future of Communication
Ausgabe
01/2022
...der Medizinforschung: Gesundheit zum Anziehen

Von Simon Annaheim

Wearables und smarte Textilien sind im Trend. Sie können aber weit mehr als etwa sportliche Spitzenleistungen zu messen. Als Basis dieser neuen Textilien dienen «intelligente» Fasern und biokompatible Verbundwerkstoffe, die als Sensoren, Medikamentenabgabesysteme oder Gewebeimitate auch in der Medizinforschung zu den Innovationen von morgen beitragen.

Sport im Winter hat seine Tücken. Draussen ist es bitterkalt und warme Kleidung ist gefragt. Je nachdem wie stark man sich bewegt, benötigt man eine stark oder weniger stark isolierende Jacke. Und sobald man sich intensiv bewegt, und die körpereigene «Klimaanlage» einsetzt, sondert die Haut Schweiss ab – und es wird feucht unter der Jacke. Forschende der Empa haben daher ein Bekleidungssystem entwickelt, welches auf die wechselnden Ansprüche an die Isolation reagiert.

Damit die Feuchtigkeit abtransportiert werden kann, und wir dann bei der wohlverdienten Pause nicht in der nassen Bekleidung frieren, haben Empa-Forscher in St. Gallen in Zusammenarbeit mit Industriepartnern eine elektroosmotische Membran entwickelt, die die Bekleidung (und den Sportler) trocken und somit auch warmhält. Das schweizerische Sportbekleidungsunternehmen KJUS hat die Technologie in eine Skijacke eingearbeitet, die sich per Smartphone bedienen lässt. In Experimenten in der Empa-Klimakammer bestätigten die Forschenden zudem die Funktionalität und den Tragekomfort der Kleidung mit «Pumpeffekt». In einem nächsten Schritt sollen die Technologien kombiniert und mit smarten Kontrollalgorithmen ergänzt werden. Das bedeutet, die smarte Jacke erkennt, ob es dem Träger zu warm oder zu kalt ist und stellt die Isolation und den Feuchtetransport entsprechend ein.

Sensoren für Sportlerfüsse

Um Bewegung geht es auch bei einem «Kleidungsstück», das auf der Basis von Holz entworfen wurde: Innerhalb des Projekts «D-Sense» entsteht ein flexibler Gelenksensor aus Nanocellulose. Der 3D-gedruckte Sensor aus nachwachsenden Rohstoffen ist bioverträglich und liegt direkt auf der Haut. Elektrisch leitfähig ist er, da die Nanocellulose-«Tinte» beim 3D-Druckverfahren mit Silber-Nanodrähten versetzt ist. Als Einlegesohle beispielsweise im Sportschuh eines Hochleistungssportlers getragen, misst der Sensor unter anderem Belastung, Druck und Krafteinwirkung, so dass sich die Bewegung der Gelenke exakt analysieren lässt. «Gerade aufgrund ihrer mechanischen Eigenschaften eignet sich Nanocellulose besonders gut, um neue Verbundwerkstoffe zu kreieren», sagt Gustav Nyström, der das Empa-Labor für «Cellulose & Wood Materials» in Dübendorf leitet. Der mehrschichtige Sensor ist denn auch eines der Projekte des strategischen Fokusbereichs «Advanced Manufacturing» des ETH-Bereichs. Die Anwendung eines derartigen Gelenksensors könnte künftig zudem bei Menschen mit Gelenk-Im-plantaten eingesetzt werden, um den optimalen Heilungsprozess zu begleiten.

 

Smarte Fasern unter dem Elektronenmikroskop (Bild: Empa)

 

Datenanalyse im Schlaf

In Zukunft können textile Lösungen zudem eine wichtige Rolle beim Monitoring des Gesundheitszustandes beispielsweise im Schlaf übernehmen. Mit derartigen Kleidungsstücken kann die Überwachung von klinischen Parametern in den Alltag integriert werden, ohne die Erholung und den Heilungsprozess zu stören. Empa-Forschende haben hierzu einen Sensor-Gurt entwickelt, der dank gestickter Elektroden die Herztätigkeit über die ganze Nacht aufzeichnen kann. Mit der Empa-Plasmabeschichtungsanlage wurden Nanometer-feine metallische Schichten auf die Stickfäden appliziert, wodurch sie leitfähig, hautverträglich und waschbar sind. Gemeinsam mit Forschern der «Université de Haute-Alsace» in Mulhouse arbeiten die Textilforscher daran, weitere textile Sensoren zu integrieren. So kann etwa mithilfe von drucksensitiven Fasern die Bewegung des Brustkorbs detektiert werden, um die Atemtätigkeit aufzuzeigen. Dank optischer Fasern gewinnt der Gurt schliesslich auch Erkenntnisse zum Sauerstoffgehalt im Blut. Diese Messgrössen sind beispielsweise bei Menschen, die während des Schlafs an Atemstillstand, sogenannter Schlafapnoe, leiden, von grossem Interesse. Ein solcher textiler Sensor-Gurt erlaubt sogar die Gesundheitsüberwachung zuhause, um festzustellen, ob eine Therapie ihre volle Wirkung entfaltet.

Ergänzt mit Sensorik zur Messung der Körpertemperatur und Bewegungsaktivität kann der Sensor-Gurt zudem die Diagnose von Demenzerkrankungen wie Alzheimer unterstützen, da die Langzeitmessung von Vitalparametern Hinweise auf die kognitive Hirnleistung gibt.

«Wir können ein System zur Messung von Körpersignalen bereitstellen, welches eine nicht-störende Patientenüberwachung im Alltag ermöglicht oder etwa die Erholung eines Sportlers im Schlaf misst», sagt Simon Annaheim vom «Biomimentic Membranes and Textiles» Labor der Empa in St. Gallen. Ein weiterer wichtiger Aspekt hierzu ist die Datenübertragung und die Bereitstellung von relevanten Informationen für Mediziner, Trainer und natürlich den Patienten oder die Sportlerin selbst.

Tarnkappe für Herzpumpen

Da sich das Mikro-Design von Textilfasern durch verschiedene Spinnverfahren präzise steuern lässt, entwickeln Empa-Forschende zudem Membranen, die biologischen Geweben ähneln. Polymermembranen aus hochelastischen Kern-Mantelfasern werden beispielsweise mit menschlichen Zellen besiedelt, so dass ein mehrschichtiges, funktionstüchtiges Gewebe heranwachsen kann. Integriert sind diese Arbeiten in das Grossprojekt «Zurich Heart», an dem die Empa gemeinsam mit Universität und ETH Zürich und dem Zürcher Universitätsspital arbeitet. Die «lebenden» Membranen sollen hierbei die innere Oberfläche von Herzpumpen als «Tarnkappe» auskleiden, damit der Körper das Gerät besser annimmt und Fehlfunktionen vermieden werden.

Medikamente zum Anziehen

Textile Fasern können aber auch in Form von «intelligenten» Pflastern frühzeitig einen gestörten Heilungsverlauf bei komplexen Wunden anzeigen. Ausserdem können sie Substanzen wie Antibiotika, Schmerzmittel oder natürliche Heilmittel freisetzen. Damit die Dosierung dieser Wirkstoffe präzise abläuft, haben die Forschenden trickreiche Kontrollmechanismen erdacht: Ein leichter Druck auf den Verband, ein Lichtsignal oder ein veränderter pH-Wert der Wunde steuern die Abgabe der Medikamente.

Mit dem Einsatz eines digitalen Zwillings liesse sich Behandlung künftig zusätzlich verbessern, indem eine präzise und vorausschauende Dosierung ermöglicht wird. Empa-Forschende haben bereits mehrere hundert solcher Avatare auf der Basis von realen Menschen modelliert und experimentell behandelt. Hierbei sollen die digitalen Zwillinge auch Rückmeldungen von echten Patientinnen und Patienten erhalten, dank derer die Forschenden die Therapie dann weiter optimieren können.

Simon Annaheim

Dr. Simon Annaheim arbeitet im «Biomimetic Membranes and Textiles»-Labor der Empa in St. Gallen. Er leitet das Forschungsteam «Materials-Body Interaction» und befasst sich unter anderem mit Body Monitoring für medizinische Anwendungen.

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