asut-Bulletin
Resilienz
Ausgabe
03/2023
Solche Temperaturen übersteigen unsere Resilienz

Interview mit Reto Knutti, ETH

Foto: piqsels.com


ETH-Professor Reto Knutti ist einer der gefragtesten Klimaexperten der Schweiz. Und muss doch immer wieder erfahren, wie schwer sich Menschen damit tun, auf der Basis von wissenschaftlichen Fakten und Prognosen vorausschauend zu handeln.

asut: In den letzten Wochen war es heiss wie noch selten in der Schweiz, was für sich allein die Klimakrise natürlich noch nicht beweist. Aber die globalen Temperaturen von 1850 bis heute sprechen Klartext: Die Erde erwärmt sich auf eindrückliche Weise und wir wissen auch warum. Warum fällt uns das Handeln trotzdem so schwer? Warum erscheinen vielen die unmittelbaren Kosten der Krisenbewältigung noch immer zu hoch?

Reto Knutti: Die Gründe warum wir uns schwertun, sind vielfältig. Wir sind alle abhängig von den fossilen Energien, und einige verdienen sogar viel Geld damit. Wir sind Gewohnheitstiere und geben ungern auf, was wir haben. Wir denken zu kurzfristig und egoistisch, und warten darauf, dass andere handeln. Und bei den Kosten sehen wir nur die Kosten für einen Umbau des Energiesystems, und realisieren nicht, dass uns der Status quo mit den Klimaschäden teurer kommt.

Die Erwärmung ist in der Schweiz besonders hoch – warum und mit welchen konkreten Folgen? Oder sollten wir uns als nicht wirklich autarkes kleines Land vor den globalen Auswirkungen der Erderwärmung vielleicht mehr fürchten als vor dem, was hier passiert?

Die Schweiz hat sich etwa doppelt so stark erwärmt wie der Planet. Klimatische Auswirkungen sind hier primär eine Zunahme von Hitzewellen, Trockenheit im Sommer, Starkniederschlägen, und die Abnahme von Schnee und Eis. Das hat natürlich Folgen für Gesundheit, Wasserverfügbarkeit, Naturgefahren, Landwirtschaft, Energie und Tourismus. Wir sind durch Technologie, Geld und Fachkräfte in der Lage, einiges davon mit Anpassung abzufedern, allerdings mit hohen Kosten. Aber der Klimawandel hört nicht an der Grenze auf – und in einer globalisierten Welt mit Lieferketten und stark verflochtenen Handelsströmen sind wir als Exportnation ökonomisch stark abhängig vom Ausland. Migration ist komplex, aber auch das wird ein Thema sein, wenn Teile der Erde kaum mehr bewohnbar sind. Alles Gründe, nicht nur innerhalb der kleinen Schweiz zu denken.

 

Jahresmittel-Temperatur in Basel / Binningen zwischen 1755 und 2017 als Abweichung in °C zur Periode 1871-1900. In schwarz ist der geglättete Verlauf eingezeichnet. Quelle: MeteoSchweiz.

 

«Bald ist längst vorbei»: Ist der Klimawandel überhaupt noch reversibel – und falls nicht: Sind dann nicht alle Anstrengungen sowieso für die Katz? Oder anders gefragt: Erstickt vielleicht das Ausmass der Krise unsere Widerstandskraft?

Der Klimawandel ist in der Tat mittelfristig nicht rückgängig zu machen, das CO2 bleibt Jahrhunderte in der Atmosphäre. Aber wir haben die Wahl zwischen 1,5°C, 2°C, 3°C oder 4°C. Mit 1,5°C sind die Auswirkungen verkraftbar. Im Moment steuern wir jedoch auf fast 3°C zu. Allein die Hitze würde für 2 Milliarden Menschen damit kaum mehr auszuhalten, solche Temperaturen übersteigen unsere Resilienz. Hunderte Millionen wären vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht. Wir haben die Wahl wie die Zukunft aussehen wird. Aber mal schauen wie es wird und dann wieder zurück, das geht nicht.

Wir haben die Wahl, sagen Sie. Wer ist «wir», d.h. wer ist am meisten gefordert: die Forschung, die Technik, die Politik, die Wirtschaft oder die Gesellschaft?

Es braucht alle. Die Konsumenten müssen überlegen was und wieviel sie kaufen. Die Forschung muss Alternativen entwickeln, die Wirtschaft muss sie verfügbar machen, und die Politik muss die Anreize so gestalten, dass sie sich durchsetzen können.

Wer, was sind Bremsfaktoren? Warum ist Klimaschutz derart politisch und ideologisch aufgeladen? Wissenschaftliche Fakten allein scheinen die Diskussion jedenfalls nicht vorwärts zu bringen.

Wissenschaftliche Fakten und Zahlen diktieren noch keine Entscheide oder kein gesellschaftliches Handeln. Am Ende sind wir Menschen in ein sozio-ökonomisches System eingebettet, das über lange Zeit gewachsen ist. Neben Technologie müssen wir vor allem den Menschen besser verstehen, mit seinen Wünschen, Werten, Vorlieben und Schwächen. 

Netto null bis 2050: Wird mit dem Ja zum Klimaschutz-Gesetz alles gut? Holt die Schweiz nun ihren Rückstand (z. B. gegenüber der EU) wieder auf oder braucht es dazu noch mehr?

Das Klimaschutz-Gesetz ist nicht mehr als eine Absichtserklärung. Es muss jetzt umgesetzt werden. Es liegt nicht am Geld oder an der Technologie, sondern am politischen Willen. Wir sind beim Klimaschutz nicht nur hinter die EU zurückgefallen, wir haben uns auch noch abgekapselt. Beides ist für ein kleines, aber innovatives Land fatal. Mehr handeln als reden, und bitte gemeinsam!

Was kann uns jetzt unmittelbar weiterhelfen: Erneuerbare Energie, das endgültige Aus für Verbrennungsmotoren, doch wieder Kernkraftwerke, Negativemissionen, CO2-Kompensation im Ausland? Striktere Gesetze und Rahmenbedingungen, Gesellschaftsdebatten, ziviler Ungehorsam?

Offensichtlich nötig sind der Wechsel auf batterieelektrische Fahrzeuge, die Sanierung der Gebäude und der Ersatz von fossilen Heizungen, weniger Fliegen und eine Ernährung mit weniger tierischen Produkten. Gleichzeitig aber auch einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energie, die Entwicklung von synthetischen Treibstoffen und die CO2-Entfernung aus der Luft. Mit klaren Rahmenbedingungen geht das alles schneller, es ist fairer, und die Wirtschaft kann planen. Ein ambitioniertes Klimaziel und die Energiewende sind bezahlbar und möglich, wenn wir statt politischen Grabenkämpfen die Zukunft und Resilienz unseres Landes ins Zentrum stellen.

Macht uns das alles klüger, d.h. lassen sich aus der Klimakrise allgemeingültige Lehren zu den Voraussetzungen für eine angemessene(re) Bewältigung von Krisen ableiten?

Im Prinzip ist jede Krise eine Möglichkeit zu lernen. Ich hätte erwartet, dass wir auch aus der Pandemie Lehren ziehen hinsichtlich der Krisenvorbereitung, dem Wert von Solidarität und klaren Regeln für alle, der Abhängigkeiten vom Ausland, und der Rolle der Wissenschaft im politischen Prozess. Heute bezweifle ich allerdings, dass wir das wirklich genügend getan haben. Und eigentlich sollten wir nicht erst nach Krisen aufwachen. Denn ob Strommangel, Klima oder Pandemie – das riesige Bedrohungspotenzial all dieser Krisen wurde schon vor Jahren identifiziert. Vorausschauen und nachdenken wäre besser als abwarten – und definitiv auch günstiger. 

 

Reto Knutti

Reto Knutti ist Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich, Autor von Berichten des IPCC und engagiert sich für Vermittlung von Klimawissen an die Öffentlichkeit.

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