asut-Bulletin
Big Data und Privatsphäre
Ausgabe
06/2016
Die Vermessung des Menschen

Die Anwendung von Big Data im Gesundheistwesen verspricht Vorteile für die Forschung und für eine bedeutend sicherere, personalisiertere und effizientere medizinische Versorgung. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen – wie die Akademien der Wissenschaften Schweiz in einem letztes Jahr veröffentlichten White Paper aufzeigen –, allerdings auch etliche Risiken umschifft werden.

(cdh) – Big Data hat das Potenzial, die Medizin zu einer präziseren und kosteneffizienteren Wissenschaft zu machen. Dank der Analyse grosser Mengen von  Gesundheitsdaten aus verschiedensten Quellen – soziale Medien und Apps auf mobilen Geräten, Populationsstudien, Daten zu Umwelteinflüssen, Daten der Quantified-Self-Bewegung, bei der Einzelpersonen beispielsweise mit Fitnessbändern alle möglichen gesundheits- und aktivitätsbezogenen Daten über sich selber erheben und mit anderen teilen – können Krankheiten schneller und genauer diagnostiziert, Risikofaktoren erkannt und die Wirkung von Behandlungsmethoden, beispielsweise Chemotherapien bei Krebserkrankungen, passgenauer kalibriert und auf die individuellen Patienten zugeschnitten werden.

Gerade der letzte Punkt ist bedeutender als er auf Anhieb erscheinen mag. Das White Paper notiert dazu: "Ursache vieler  medizinischen Fehler ist ein Mangel an korrekten und vollständigen Informationen. Schätzungsweise 30 Prozent der Gesundheitskosten in den Vereinigten Staaten (für die Schweiz dürften die Zahlen ähnlich sein) sind zurückzuführen auf unnötige oder unwirksame medizinische Behandlungen, bedingt durch einen Mangel an geeigneten Daten sowie durch falsche Anreize. Ein besseres Verständnis der primären Patientendaten, kombiniert mit Erkenntnissen aus vergleichbaren Fällen und Behandlungsergebnissen sowie diagnoseunterstützenden kognitiven Systemen – ermöglicht durch entsprechende Big-Data-Technologien – könnte die Zahl medizinischer Fehler, die eigentlich vermeidbar wären, enorm reduzieren und den Behandlungserfolg drastisch erhöhen." Auch das Problem schädlicher Nebenwirkungen von Medikamenten könnte die systematische Auswertung aller verfügbaren Daten entschärfen.

Eine Aufgabe für die Schweiz?

Gesundheitsdaten sind personenbezogene Daten par excellence: Sie geben sehr viel über eine Person, ihr genetisches Make-up und ihren Lebensstil preis – das macht sie dementsprechend heikel und schützenswert. Die Analyse von Gesundheitsdaten setzt deshalb im Prinzip immer die Einwilligung der Betroffenen voraus. Nur sie sollten Zugang zu und alle Rechte über die Verwertung ihrer gesundheitsrelevanten Daten haben, sollten entscheiden können, wer diese Daten zu welchem Zweck weiterverarbeitet. Das ist, bei einer immer unübersichtlicheren Menge von Datenspuren, die wir alle on- und offline hinterlassen ohne uns dessen immer auch bewusst zu sein – allerdings oft leichter gesagt als getan. Selbst wenn Daten für "gute Zwecke" erhoben werden – wenn sich also beispielsweise die Forschung ohne Rücksprache mit den Betroffenen für die Informationen interessiert, die diese auf Internet-Gesundheitsforen über ihre Krankheit austauschen –, bleibt dieses Vorgehen ethisch problematisch.

Was tun? Bewusst auf Transparenz setzen, damit, im Interesse aller, die Chancen von Big Data für ein fortschrittliches Gesundheitswesen ausgeschöpft werden können. "Die aktive Mitarbeit aller Bürger", postuliert das White Paper, "ist deshalb eine Voraussetzung für eine moderne Gesundheitsversorgung. Sie führt zum Empowerment des Patienten/ Bürgers und zu einer Demokratisierung der Ökonomie der persönlichen Daten. In diesem Prozess kann und sollte die Schweiz mit ihrer partizipativen demokratischen Kultur eine führende Rolle in Europa und in der Welt spielen." 

Big Data im Gesundheitswesen White Paper, Akademien der Wissenschaften Schweiz

Daten fürs Allgemeinwohl

Davon, dass die Schweiz im Bereich der gesellschaftlich nutzbringenden Auswertung von Gesundheitsdaten für Forschung und Gesellschaft eine besondere Rolle spielen könnte, ist auch der Verein Daten und Gesundheit überzeugt. Er will die Gründung einer genossenschaftlich organisierten Gesundheitsdatenbank fördern, in der individuelle, medizinische Daten eingegeben, verwaltet und genutzt werden können, gleichzeitig aber die Privatsphäre der "Datenlieferanten" gewahrt bleibt.

 

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