Fünf Übungen für KMU
Die digitale Transformation ist überall. Sich gegen die Digitalisierung zu stellen, ist in etwa so erfolgversprechend wie gegen die Globalisierung zu sein. Ein Unternehmen lässt sich heute nicht mehr wie auf Schienen führen, es muss viel mehr im digitalen Raum flexibel gleiten können. Der Weg zu einem optimal transformierten Unternehmen ist sehr anspruchsvoll, da alle Bereiche der Geschäftstätigkeit betroffen sind.
Zielzustand eines digital transformierten Unternehmens (Illustration: Zühlke)
Während sich Grossunternehmen hohe Budgets für Digitalisierungsexperimente leisten können, steht der Mittelstand vor der Herausforderung, den digitalen Wandel mit knappen finanziellen und personellen Ressourcen bewältigen zu müssen. Dabei besteht durch die schnellen technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen rasch die Gefahr, auf das falsche Pferd zu setzen und die eigene Wettbewerbssituation zu beeinträchtigen anstatt zu verbessern.
Wir stellen fünf ausgewählte Übungen vor, die KMU durchführen können, um die richtigen Weichen für die Digitale Transformation zu stellen. Kennzeichnend für die Übungen ist, dass sie den Status-Quo in Frage stellen und dass Limitierungen erst mal keine Rolle spielen. Für die Umsetzung empfiehlt sich eine sequenzielle Durchführung der Übungen durch ein interdisziplinäres Team, in dem digital affine Mitarbeiter eine führende Rolle übernehmen. Wenn immer möglich, sollten gemäss dem Design-Thinking-Ansatz so wenig Annahmen wie möglich zum Voraus getroffen, sondern Kunden, Endkunden, Partner, Startups und sonstige zentrale Stakeholder befragt werden.
Übung 1: Der digitale Albtraum
Die traditionelle Strategieklausur wird dem hohen derzeitigen Veränderungsgrad nicht gerecht. Häufig zu beobachten ist, dass das Management von der bestehenden Vision ausgeht, sich nach der SWOT-Analyse primär auf die Ausnutzung der eigenen Stärken und Marktchancen konzentriert und für das Folgejahr die Ziele des letzten Jahres anhebt. Dabei wird leicht übersehen, dass die Branchenregeln derzeit auf den Kopf gestellt werden und sich nicht fortschreiben lassen. Ergänzend sollte daher auch die eigene Vernichtung durchgespielt werden:
- Wie würde uns ein (neuer) Wettbewerber am Besten vernichten?
- Welche Kunden würde uns ein aggressiver Angreifer mit welchem Leistungsangebot abjagen?
- Warum gibt es uns noch in 10 Jahren?
Höchstwahrscheinlich wird der Angreifer die Schwächen des Unternehmens attackieren und bei den heutigen Ineffizienzen des Marktes ansetzen. Er würde den Existenzgrund des Unternehmens in Frage stellen – ein digitaler Albtraum. Die spannende Aufgabe kann gut an ein Team delegiert werden („Stellt Euch vor, Ihr seid ein Startup mit 20 Millionen Franken Kapital, was würdet Ihr tun?“). Für Unternehmen im B2B-Bereich sollte die Übung um die Frage ergänzt werden, wie ein (neuer) Wettbewerber den Kundenstamm vernichten würde.
Übung 2: Die Engpässe der Zielgruppen
Die Digitalisierung verstärkt den Druck auf individualisierte Leistungsangebote, im Extremfall wird ein 1:1-Marketing erforderlich. Diese Übung zielt darauf ab, die bislang definierten Zielgruppen des Unternehmens in Frage zu stellen und zwar deren Kriterien und deren notwendige Granularität. Nachfolgend sind in Anlehnung an die sogenannte „Engpasskonzentrierte Strategie“ die Engpässe der wesentlichen Zielgruppen zu adressieren:
- Was macht unsere Zielgruppen wirklich aus und wie verändern sich diese?
- Welches ist unsere erfolgversprechendste Zielgruppe und warum?
- Was hält unsere Zielgruppen davon ab, unsere Produkte und Dienstleistungen zu kaufen?
Die konsequente Auseinandersetzung mit den Engpässen der Zielgruppe fördert in der Regel mehr Einsichten zu Tage als Annahmen wie beispielsweise „Wir sind zwar besser, aber dafür teurer“ oder „Unsere Produkte halten (zu) lange“. Häufig offenbaren sich in den Hindernissen Potenziale für andere Angebote. Kunden wollen sich vielleicht eigentlich gar keine (noch bessere) Nähmaschine kaufen, sondern sich einfach nur kreativ beschäftigen und anderen damit eine Freude bereiten.
Übung 3: Die Wertschätzung der Kunden
Innovationen basieren zunehmend auf neuen Geschäftsmodellen oder ziehen diese nach sich. Im Zeitalter von Pokemon Go, wo mit einem Free-to-Play-Modell in kürzester Zeit Milliardenumsätze erzielt werden können, ist die Verlockung nach neuen Einnahmequellen gross. Doch wo sollte man ansetzen, insbesondere, wenn sich die Kunden über Jahre an das branchenübliche Geschäftsmodell gewöhnt haben und es die Software für die Maschine bisher quasi gratis dazu gab? Die zentrale Grundlage dazu ist das Verständnis der Wertschätzung der Kunden:
- Welche Produkte, Funktionen, Services, Eigenschaften etc. sind den Zielgruppen was wert?
- Was wäre, wenn ...?
- Was wäre für unsere Kunden der „Burner“, was die optimale Erlebniskette?
Übung 4: Die eigene Wertschöpfung
In den Zeiten immer vergleichbarer Produkte und Services ist die Frage nach der Einzigartigkeit elementar, denn diese bestimmt über die langfristige Austauschbarkeit und Abhängigkeit. Die Übung zielt darauf ab, zu hinterfragen, ob im Zeitalter schnell wandelnder Wertschöpfungsketten die eigenen Kernkompetenzen zukünftig noch Bestand haben werden:
- Was können wir wirklich ausgezeichnet?
- Welche Wertschöpfung ist elementar für die Kundennähe und den Zugang zu Kundendaten?
- In welchen Bereichen sind wir leicht auszutauschen oder signifikant gefährdet?
Übung 5: Der optimale Partner
„Wo die Grossen fusionieren, müssen die Kleinen kooperieren“: Im digitalen Zeitalter ist Kooperationsfähigkeit noch wichtiger geworden. Unternehmen spezialisieren sich immer weiter, während Kunden zunehmend einfache Gesamtlösungen nachfragen. Gute Lösungen erfordern sowohl gute als auch passende Partner, zudem ist die eigene Attraktivität im Verbund entscheidend:
- Wann sind wir für andere ein optimaler Partner?
- Welche Partnerprofile wären genial für eine optimale Kundenlösung?
- Was sind unsere strategischen, strukturellen und kulturellen Kriterien für eine Partnerwahl?
Nach Abschluss dieser Übungen sollte sich für die Unternehmung ein erstes Zukunftsbild mit erfolgversprechenden Handlungsoptionen ergeben. Die Mittel hierzu dürften überschaubar sein und ein positives Kosten-Nutzenverhältnis aufweisen, wenn man berücksichtigt, dass Fehlentscheidungen künftig besser vermieden werden können, digital affine Mitarbeiter identifiziert und motiviert sind und Kunden sowie Stakeholder (nochmal) gespürt haben, dass sie wirklich im Zentrum des Handelns stehen.
KMU sollten sich stets bewusst sein, welche Chancen sich ihnen durch den digitalen Wandel im Vergleich zu den Grossunternehmen bieten, wenn sie nur ihre typischen Stärken clever ausspielen, nämlich: Überschaubarkeit der Unternehmung und der Märkte, direkte Kundenkontakte, hohe Anpassungsfähigkeit, Entscheidungsflexibilität, unbürokratische Organisation, sehr spezifische Lösungskompetenz sowie ausgeprägtes Unternehmertum.